Liquid Feedback

Posted on 13. August 2010

11



Es ist so weit. Nach langem hin und her sind gestern durch den Bundesvorstand der Piraten die überarbeiteten Datenschutz-Bestimmungen für das Liquid Feedback einstimmig angenommen worden. Damit kann endlich umgesetzt werden, was auf dem letzten Bundesparteitag mit breiter Mehrheit beschlossen wurde: die Einführung von Liquid Feedback für die Parteiarbeit auf Bundesebene.

Zeit also, Außenstehenden (oder vielleicht auch einzelnen Piraten), die bisher nicht wissen, was es damit auf sich hat, endlich zu erklären, worum es bei diesem System geht. Was ist das? Wie sieht das aus? Wofür ist das gut?

Ich werde versuchen, dies hier unter anderem anhand von Bildern aus der NRW-Version von Liquid Feedback zu erklären. In Details wird sich das Bundes-Liquid-Feedback davon unterscheiden, aber die Grundprinzipien sind dieselben.

Kurz und knapp könnte man Liquid Feedback einfach als ein System bezeichnen, in dem Anträge gestellt werden können, über die dann abgestimmt wird. Tatsächlich steckt aber noch ein klein wenig mehr dahinter. Denn das System vereinigt dabei Elemente der direkten und der repräsentativen Demokratie, was in der Praxis bedeutet: man kann nicht nur selbst über alles abstimmen, sondern auch andere für sich abstimmen lassen.

Doch der Reihe nach. Schauen wir uns das System einfach an.

Um am Liquid Feedback teilnehmen zu können, muss man stimmberechtigter Pirat und im System registriert sein. Grundsätzlich steht so jedem Piraten die Möglichkeit offen, sich im System zu beteiligen. Wenn man diese Prozedur hinter sich hat, wird man nach der Anmeldung im System von einer Startseite empfangen.

Von dort aus gelangt man in alle Bereiche des Systems. Wie man im Bild sehen kann, informiert das System einen auch direkt, wenn gerade Themen, für die man sich interessiert, zur Abstimmung stehen. Doch dazu später mehr.

Mit welchen Angaben man das für alle Teilnehmer einsehbare Nutzerprofil füllt, bleibt dabei jedem selbst überlassen. Bei mir sieht das ganze aktuell recht spärlich aus:

Bei vielen Mitgliedern steht da noch weniger und das ist auch völlig ok. Wie gesagt: man kanns so machen, wie man will.

Klickt man dann am oberen Rand auf „Themenbereiche“, bekommt man einen Überblick über alle Bereiche, die gerade im System angelegt sind.

Sollte sich jetzt jemand über den Themenbereich „Sandkasten/Spielwiese“ wundern: In diesem Bereich kann man sich quasi beliebig austoben. Das hat den Zweck sich mit dem System vertraut zu machen. Auch zu Demo-Zwecken bei Workshops und Informationsveranstaltungen können dort dann Themen eröffnet und Initiativen eingereicht werden. Meist werden dafür dann irgendwelche Nonsens-Anträge genommen.

In jedem dieser Themenbereiche kann jeder Pirat Initiativen einbringen. In der Übersicht kann man zu jedem Themenbereich sehen, wie viele Anträge sich gerade in welcher Phase der Abarbeitung (Neu, Diskussion, Eingefroren, Abstimmung, Abgeschlossen oder Abgebrochen) befinden. Darüber hinaus bekommt man angezeigt, ob gerade Abstimmungen laufen, zu denen man seine Stimme noch nicht abgegeben hat.

Werfen wir mal einen Blick auf eine eingereichte Initiative (auch diese ist ein Nonsens-Antrag aus dem Sandkasten; also nicht wundern).

Jemand hat also den Antrag gestellt, den Golf von Mexiko mit Stoppschildern zu versehen. Man hat nun verschiedene Möglichkeiten, was man mit dem Antrag machen kann. Man kann sein Interesse an der Initiative bekunden, oder sie ausdrücklich unterstützen. Was man nicht tun kann, ist, die Initiative von vornherein abzulehnen. Statt dessen kann man Anregungen geben, was an der Initiative zu ändern wäre, damit möglicherweise bereit ist, sie zu unterstützen. Diese Anregungen können dann von jedem Teilnehmer im System bewertet werden.

Das angemeldete Interesse und die Unterstützung spielen unter anderem dabei eine Rolle, ob jeweilige Initiative in die nächste Phase der Abarbeitung gelangt. Nur, wenn ein ausreichend großer Anteil derer, die ein Interesse am jeweiligen Thema oder Themenbereich bekundet haben die Initiative unterstützen, kann sie in die nächste Phase und später dann auch zur Abstimmung kommen. Solange sich eine Initiative noch in der Diskussionsphase befindet, kann sie überarbeitet werden, z.B. indem die Anregungen berücksichtigt und eingearbeitet werden. Danach wird sie für eine bestimmte Zeit eingefroren, damit nicht möglicherweise eine überarbeitete Fassung zur Abstimmung kommt, die so eigentlich niemand wollte. Während dieser ganzen Zeit kann man die Initiative noch unterstützen oder ihr auch eine erteilte Unterstützung wieder entziehen, wenn man z.B. mit vorgenommen Änderungen nicht einverstanden ist.

Wenn dann für eine Initiative so weit alles glatt läuft, kommt sie zur Abstimmung, an der sich natürlich alle beteiligen können. Dabei hat man dann die Wahl, ob man einer Initiative zustimmt, sie ablehnt, oder sich ausdrücklich enthält.

Nun ist es allerdings möglich, dass es zu einem einmal eröffneten Thema alternative Initiativen gibt. Wenn es von alternativen Initiative innerhalb eines Themas dann mehrere zur gemeinsamen Abstimmung schaffen, hat man die Möglichkeit, die Initiativen auch unterschiedlich zu gewichten. Muss man allerdings nicht. Man kann natürlich auch alle Alternativen gleich gewichten (Dank an Stephan Beyer für die Ergänzung.)

Wenn man sich die Übersicht über die Themenbereiche anschaut, sieht man, dass es davon nicht gerade wenige gibt. Logisch, eine Partei muss sich mit recht vielen Dingen befassen. Klar ist auch: Kaum jemand dürfte sich in allen Themenbereichen gleich gut auskennen. Vielleicht hat man bei einigen Themenbereichen auch gar keine Lust, sich damit auseinander zu setzen. Hier kommen die Delegationen ins Spiel.

Man hat im Liquid Feedback die Möglichkeit, seine Stimme an andere Mitglieder zu delegieren. Dies kann man für einzelne Themen, ganze Themenbereiche oder auch global für einfach alles tun. Ich habe das zum Beispiel für den Themenbereich „Satzung und Parteistruktur“ getan.

Ich habe für diesen ganzen Themenbereich meine Stimme an eine Person delegiert, von der ich der Meinung bin, dass sie sich in Satzungsfragen wesentlich besser auskennt, als ich. Wenn diese Person nun in diesem Themenbereich aktiv wird, z.B. ein Thema unterstützt oder drüber abstimmt, tut sie dies mit doppeltem Stimmgewicht, weil sie bei allem, was sie da tut, nicht nur ihre eigene Stimme abgibt, sondern meine auch gleich mit.

Eine Delegation bedeutet also, dass man einer Person das Vertrauen ausspricht, dass sie kompetent und verantwortungsbewußt entscheidet und ihr damit die Vollmacht erteilt, für einen selbst mit zu entscheiden.

Doch damit nicht genug. Wenn ich mir meine Delegation in diesem Themenbereich anschaue, sehe ich, dass die Person, an die ich delegiert habe, ihre Stimme selbst wiederum an jemand anderes delegiert hat.

Das bedeutet nun, dass sich diese dritte Person auch immer gleich mit mindestens dreifachem Stimmgewicht in diesem Themenbereich beteiligt. Ihrer eigenen Stimme, der Stimme der Person, an die ich delegiert habe, und meiner Stimme.

Solche Delegationsketten können prinzipiell beliebig lang sein. Sie können auch im Kreis verlaufen (z.B. A → B → C → A) oder zu komplizierten Netzen wachsen. Die Ketten werden dabei immer an dem Punkt unterbrochen, wo ein Mitglied der Kette selbst aktiv wird. Wenn jetzt also in meiner Dreierkette die Person selbst aktiv wird, an die ich delegiert habe, gehen der dritten Person unsere beiden Stimmen für die jeweilige Initiative bzw. das jeweilige Thema automatisch verloren und meine Vertrauensperson stimmt selbst mit zwei Stimmen. Wenn ich dann zusätzlich auch noch selbst aktiv werde, stimmt für den Moment jedes Mitglied der Kette nur für sich, so als gäbe es gar keine Delegationen.

Das wären grob zusammengefasst die wichtigsten Aspekte des Liquid-Feedback-Systems. Ich hoffe, ich habe es einigermaßen gut erklären und einen angemessenen Eindruck vermitteln können und nichts wichtiges vergessen 😀

Das System bietet gerade auch wegen der Delegationen eine Reihe neuer interessanter Möglichkeiten. Aber es hat natürlich auch seine Grenzen. So wird es zum Beispiel nie für Personenwahlen geeignet sein, da es niemals vollständig anonym sein kann. Aber für verschiedene Arten von Abstimmungen ist es durchaus brauchbar.

Diese Möglichkeiten werden wir nun auch auf Bundesebene ausloten. Dabei verwenden wir das System zunächst als unverbindliches Meinungsbildungswerkzeug. Seiner ersten Bewährungsprobe wird es in diesem Rahmen bei der Verwendung zur Vorbereitung des nächsten Bundesparteitages unterzogen.

Konkrete Pläne für Verwendungen, die über ein unverbindliches Werkzeug für Meinungsbilder hinaus gehen, gibt es dabei noch nicht. Für solche Pläne wäre es auch noch viel zu früh. Dazu müsste es erst seine Tauglichkeit unter Beweis stellen und dauerhaft breite Akzeptanz unter den Mitgliedern finden. So bleibt das ganze zunächst mal ein Experiment, mit dem mehr Mitgliedern umfangreichere Möglichkeiten gegeben werden, sich an der innerparteilichen Meinungsbildung zu beteiligen. Nicht mehr.

Aber auch nicht weniger. Wir betreten damit Neuland, das in vergleichbarer Form noch keine andere Partei betreten hat. Wenn sich das System dabei tatsächlich bewährt und auch die notwendige Akzeptanz findet, ist das ganze ein gewaltiger Schritt zu konsequenter Basisdemokratie in einem Maß, von dem man in anderen Parteien auch auf lange Sicht bestenfalls träumen kann.

Ich bin jedenfalls sehr gespannt.

Posted in: Piraten