Kernkraft lässt die Sonne scheinen!

Posted on 16. März 2011

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Lange hab ich das Blog schlafen lassen, obwohl es vieles gegeben hat, über das sich zu schreiben gelohnt hätte. Aber wenn ich mir mal die Zeit genommen habe, zu schreiben, dann waren das Dinge, die hier nicht reinpassen. Nun melde ich mich zurück und dann gleich mit so etwas: Ich mag Kernkraft.

Jetzt schrei doch nicht gleich los. Lass mich erklären und nochmal von vorne anfangen. Also:

Ich bin eigentlich wirklich kein großer Freund von Kernkraftwerken. Auch nicht der Laufzeitverlängerung. Ich würde, wenn irgend möglich, die Dinger lieber abgeschaltet sehen und das lieber gestern als heute. Dennoch habe vergleichsweise wenig für die entsprechende Protestbewegung übrig und beteilige mich auch nicht an Demos und dergleichen.

Das hat verschiedene Gründe. Zum einen stimme ich weitestgehend mit dem überein, was Michele Marsching, der Vorsitzende der NRW-Piraten, in seinem Blog schreibt. Doch das ist noch nicht alles. Mich stört noch mehr. Und das hat mit dem zu tun, was ich einleitend schrieb.

Die Protestbewegung gegen Kernkraftwerke bedient sich einer Rhetorik, mit der ich mich nicht anfreunden kann. Das folgende mag im ersten Moment wie Haarspalterei erscheinen, doch ich hoffe darlegen zu können, warum es das meines Erachtens nicht ist.

Protestiert wird in dieser Bewegung nicht gegen Kernkraftwerke, sondern gegen Kernkraft und Atome. Wer das bezweifelt braucht in aktuellen Medienberichten nur nachzuschauen, wann und wo sich „Kernkraftgegner“ (die sich weitestgehend auch selbst so bezeichnen) zu „Anti-Atom“-Demos und -Mahnwachen (so werden sie von besagten Kernkraftgegnern selbst bezeichnet) zusammenfinden. Das ist in ungefähr so, als würden sich Protestler gegen mangelnde Flugsicherheit als Gravitationsgegner zu Anti-Schwerkraft-Demos versammeln.

Wie gesagt: das klingt wahrscheinlich nach Haarspalterei. Aber dahinter stehen größere Schwierigkeiten.

Zum einen haben wir es hier mit ausdrücklicher Kampfrhetorik zu tun. Während man sich spätestens ab Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre (als das ganze noch weitestgehend positiv eingeschätzt wurde) zumindest bei den Befürwortern mehr und mehr dafür entschied, den Begriff Kernenergie zu benutzen, um sich bewusst von den Begriffen Atomwaffen und Atombombe abzugrenzen, ging man bei den Gegnern ab Ende der 70er und Anfang der 80er den gegenteiligen Weg. Man protestierte ausdrücklich gegen Atomkraft und versuchte mit der Wahl dieses Begriffes eben genau eine solch unangemessene und unzutreffende Verbindung zu Atomwaffen herzustellen.

Dies ist übrigens, wie nicht selten, ein ein eher deutsches oder zumindest europäisches Phänomen. In anderen Sprachen sind die Begrifflichkeiten oft einheitlicher. So heißt es im Englischen nuclear weapon (Kernwaffe) ebenso wie es sowohl bei Beführwortern und Gegnern nuclear power (Kernenergie) heißt.

Man erklärte sich zu Atomkraft-Gegnern, zu Kernkraftgegnern, „Atomkraft? Nein danke“ zierte Buttons, Aufkleber und Textilien. Mit der Zeit wurde der Protest intensiver, teilweise geradezu hysterisch, und die Kampfparolen immer kürzer. Der aktuelle Kampfbegriff lautet schlicht „Abschalten!“. Allerorten schallt er einem entgegen. Im Netz wurde eine Seite eingerichtet, auf der man ihn per Mausklick Twitter-Account des Regierungsprechers Steffen Seibert entgegenschreien kann. ABSCHALTEN! . Minimalismus extrem.

Ein Minimalismus, der aber auch deutlich macht: Man hegt nicht das geringste Interesse am Austausch oder auch nur an der Vermittlung von Argumenten. Alles sagenswerte betrachtet man als gesagt. Konstruktiver Dialog: überflüssig. Wer kritisiert oder anderer Meinung ist im besten Fall ein Spinner, in den meisten Fällen heimlicher Vetreter der Atomlobby und in besonders harten Fällen gehört er nach Fukushima geschickt, in der Asse verbuddelt oder schlimmeres.

Mit so etwas kann ich mich nicht anfreunden. Grundsätzlich sind Piraten eigentlich gegen eine derartige Kampfrhetorik. Der Name der Partei hat ja seinen Ursprung auch ausdrücklich im Protest gegen einen vergleichbaren Kampfbegriff. Dennoch nehmen auch viele Piraten an den aktuellen Protesten teil. Das ist deren gutes Recht, das ich ihnen auch nicht absprechen möchte. Ich würde mir nur wünschen, dass sie eben nicht nur bloße Kampfschreie schmettern, dass sie Abstand nehmen von den verwendeten Begrifflichkeiten.

Warum findet man sich unter dem Namen Anti-Atom-Piraten zusammen? Ihr protestiert nicht gegen Atome. Ihr protestiert gegen eine bestimmte Form von Kraftwerken.

Und ich möchte jedem Leser Pirat oder nicht, aber natürlich ganz besonders auch den Anti-Atom-Piraten, noch etwas anders ans Herz legen. Damit sind wir auch endlich wieder beim Anfang des Artikels angekommen und bei einer Chance, dieses Thema, das (zu Recht) im Bundes-Programm der Piraten noch nicht vorkommt, mit einem echten Piraten-Kernthema zu verbinden: Bildung.

Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Leser zumindest irritiert war, als ich oben schrieb, ich möge Kernkraft. Wie kann ich sowas nur behaupten? Auch auf anderen Wegen, sei es per Microblogging oder in persönlichen Gesprächen ist diese Aussage dazu geeignet, geradezu schockierte Reaktionen hervor zu rufen. Dabei meine ich das absolut ernst. Und auch die Aussage der Überschrift, dass Kernkraft die Sonne scheinen lasse, ist absolut wörtlich gemeint.

In der Natur wirken vier fundamentale Grundkräfte und zwei davon werden als Kernkräfte bezeichnet: die starke Kernkraft, die die Elementarteilchen in den Atomen zusammen hält, und die schwache Kernkraft, die beim radioaktiven Zerfall eine Rolle spielt, aber eben auch die Fusion von Wasserstoff zu Helium in der Sonne überhaupt erst möglich macht. Kernkraft lässt die Sonne scheinen.

Streng genommen braucht es sogar alle vier Fundamentalkräfte, damit wir Sonnenschein erleben können. Ohne starke Kernkraft keine Atome, ohne schwache Kernkraft könnten diese nicht fusionieren, ohne Elektromagnetismus könnte die Sonne die so entstehende Energie nicht abstrahlen und ohne Gravitation würde sich keine Erde um die Sonne drehen, auf der wir den Sonnenschein genießen können. Auch das war jetzt natürlich nur eine extrem vereinfachte Darstellung. Physiker mögen mir verzeihen. Doch ich schweife ab.

Kernkraft lässt also die Sonne scheinen. Schonmal ein guter Grund, Kernkraft zu mögen.

Die Verwirrung beim Begriff Kernkraft kommt von der unglücklichen Zusammenführung der Begriffe Kernenergie und Kraftwerk zu Kernkraftwerk. Was häufig Kernkraft genannt wird, müsste eigentlich Kernenergie heißen (auch wenn dieser Begriff seine eigene Unglücklichkeit mitbringt) und das, wogegen protestiert wird eigentlich Kernenergie-Kraftwerk.

Auch diese Verwirrung scheint eine hauptsächlich deutsche zu sein. Das englische unterscheidet klar die nuclear forces (Kernkräfte) von der nuclear power (Kernenergie).

Damit es zu solchen Verwirrungen kommen kann, bedarf es mehrerer Faktoren. Ein Bildungssystem, das es nicht schafft, uns fundamentale Dinge richtig zu vermitteln. Ein nachschulisches Leben, das uns das gelernte allzu schnell vergessen lässt. Eine Gesellschaft, der das alles mehr oder weniger egal ist. Und im vorliegenden Fall: zwei widerstreitende Parteien, von denen die eine den besten Euphemismus sucht und die andere die beste Parole. So soll kann und darf es doch nun wirklich nicht gehen. Das führt eben dazu, dass Leute plötzlich gegen Elementarteilchen und Naturkräfte protestieren.

Dieser Effekt ist auch aus anderen Zusammenhängen bekannt. Da wird aus Protest gegen Gentechnik (wobei ich Gentechnik nun wirklich mag; aber das ist ein anderes Thema) plötzlich einer gegen Gene und Öko-Läden werben damit, dass ihre Produkte „genfrei“ seien.

Was gebraucht wird ist nicht Protest mit Parolen und Kampfbegriffen, sondern echte sachliche Aufklärung. Das schließt einen nicht unbeträchtlichen Teil der Gegner von Kernkraftwerken mit ein. Oft wird das leider auch bedeuten, an die absoluten Grundlagen gehen zu müssen. Wo liegt Japan überhaupt? Was ist ein Atom? Was passiert eigentlich in so einem Kraftwerk?

Auf die Medien ist da kein Verlass. Bei der Sendung mit der Maus konnte man mehr über Kernkraftwerke lernen, als in den entsprechenden Infoblöcken vieler der aktuellen Reportagen und Nachrichtensendungen. Die ins Studio geholten Experten sind hingegen hauptsächlich damit beschäftigt, Grundschulwissen wiederzugeben und auf Fragen von Moderatoren zu antworten, die sich so dumm wie nur irgend möglich stellen. Dies geschieht nicht, weil die Sender „von der Lobby gekauft“ sind, sondern weil es nötig ist. Man versucht nicht, den Zuschauer zu verdummen sondern dieser ist allzu oft bereits ahnungslos und wäre ohne dies nicht in der Lage, der Sendung zu folgen.

Das muss Aufgabe und Ziel sein: sachlich Informationen vermitteln, echte Aufklärung statt Parolen-Protest. Egal wie anstrengend das für alle Beteiligten auf allen Seiten sein mag. Auch und vielleicht gerade wenn man meint, dieser Prozess sei eigentlich schon seit den 80ern abgeschlossen. Das ist er nämlich nicht. Im Gegenteil.

Nur so wird aus diffusen Ängsten einerseits und pauschalem Gutheißen andererseits eine echte starke Meinung.

Und diese Arbeit fängt bei der richtigen Wortwahl an.

Ja, ich finde Kernkraft klasse. Kernkraft ist wichtig. Aber ich stehe einer bestimmten Art von Kraftwerken, die Strom aus Kernenergie gewinnen, sehr kritisch gegenüber. Ja, das klingt recht hölzern. Da lässt sich schwer eine Parole draus machen. Aber wenn man denn unbedingt eine Parole haben möchte, dann sollte es sein Kernkraft lässt die Sonne scheinen!.

Denn wenn Ihr das erklären müsst, egal wem, dann seid ihr dem eigentlichen Ziel schon ein Stückchen näher gekommen.

 

Anmerkungen:
  • Auch die Begiffe starke Kernkraft und schwache Kernkraft sind nicht konkurrenzlos. Die alternativen Begriffe starke Wechselwirkung und schwache Wechselwirkung werden unter Physikern mittlerweile wahrscheinlich sogar häufiger verwendet.
  • Ja, das Original der lachenden Sonne ist eine eingetragene Marke. Das sollte jedoch nach meinem Verständnis kein Hindernis für die abgewandelte Form an dieser Stelle sein. Sollte ich mich da irren, lasse ich mich gern eines besseren belehren, weise aber darauf hin, dass mit kostenpflichtigen Abmahnungen bei mir nix zu holen ist.