Kernkraft, Sonne… ein erläuternder Nachschlag

Posted on 18. März 2011

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Mein Artikel Kernkraft lässt die Sonne scheinen! hat nun einiges an verschiedener Resonanz hervorgerufen. Nun ist es an der Zeit, auf einige Reaktionen darauf näher einzugehen und noch etwas näher zu erläutern, was dahinter steckt. Beginnen möchte ich damit, in Kurzfassung zu beschreiben, wie es zu diesem Artikel kam.

Der Ursprung des Artikels

Ich habe die Berichterstattung zu den Ereignissen in Japan von Beginn an mit Interesse erfolgt, war jedoch recht irritiert und enttäuscht von der Berichterstattung und den Reaktionen. Die Qualität der Berichterstattung zu Erdbeben und Tsunami war bestenfalls dürftig und als in ihren Augen angemessene Reaktion darauf schienen schon von Beginn an einige sinnlose Panik allem anderen vorzuziehen. Dabei berücksichtige ich noch gar nicht die unsinnigen Verschwörungstheorien, die natürlich sofort aus dem Boden schossen oder Kram wie den Supermond-Unfug, den die BILD verbreitet hat. Es war der alltägliche „Wir werden alle sterben“-Wahnsinn.

Dann kam Fukushima.

Nahezu zeitgleich mit dem ersten Knall in Reaktor 1 tauchte auf Twitter die erste Strahlenmessung aus irgendeiner deutschen Stadt auf. Oh mein Gott, sie war gestiegen. GESTIEGEN!!!! Alle Anstrengungen einiger sehr bemühter Aufklärer, zu verdeutlichen, dass es sich um eine natürliche Schwankung handelte, inklusive nicht gestiegener Messwerte aus anderen deutschen Städten, liefen ins Leere. Man wollte lieber panisch sein. Ab da waren alle Dämme gebrochen und eine Horrormeldung jagte die nächste. Die Reaktionen wurden immer hysterischer.

Zeitgleich formierten sich die Gegner von Atomspaltungsreaktoren. „Wir habens schon immer gewusst!!!“ Gewusst? Einen Scheiß habt ihr, ihr wusstet nichtmal, was jetzt gerade geschah. Die Tweets wurden teilweise immer dämlicher (tut mir leid, ich kann das nicht beschönigen) und ich war irritiert, dass selbst einige Piraten sich hanebüchen äußerten oder Unfug zumindest retweeteten. Das alles befeuert von teilweise unterirdischer und fehlerhafter Berichterstattung.

Irgendwann rasselte wieder so ein Tweet über böse Kernkraft oder böse Atome oder beides (ich weiss es echt nicht mehr) durch meine Timeline und ich ließ mich zu diesem Tweet hinreissen:

http://twitter.com/#!/Pego_/status/47587072961298432

Eine Antwort von Twitterer @pulegon folgte prompt:

http://twitter.com/#!/pulegon/status/47587921812914176

Der Spruch gefiel mir. Ich schnappte mir ein Grafikprogramm, bastelte ein wenig und konnte twittern:

http://twitter.com/#!/Pego_/status/47608335876370432

Ich erhielt direkt mehrere „Will ich auch haben“-Kommentare. Nach meinem Kenntnisstand allesamt von Menschen, die keine Beführworter von Kerspaltungsreaktoren sind. Aber auch der erste irritierte Kommentar, warum ich für Kernkraftwerke sei.

Ein Paar Stunden später twitterte ich noch einmal:

http://twitter.com/#!/Pego_/status/47708463647834113

Reaktionen bestanden ausschließlich aus schockierten Anfragen, wie ich denn Pro-Kernkraft sein könne. Erklärungsversuche halfen nicht. Man konnte oder wollte nicht verstehen. So machte ich mich daran, den Artikel zu schreiben.

 

Die Reaktionen

Ich erntete einiges an positiver Resonanz, überwiegend aus dem Bereich der Naturwissenschaftler und Skeptiker. Aber es gab natürlich auch jede Menge kritischer und unverständiger Reaktionen. Auf einiges davon möchte ich näher eingehen.

Da sind natürlich die Reaktionen auf meine Sprachkritik. Was ein Unsinn das denn sei, jeder wisse ja schließlich, was gemeint ist, wenn von Kernkraft die Rede sei. Naja, liebe Leute, das ist nicht das Problem und entspricht auch nicht dem, was im Artikel beschrieben ist. Das Problem ist nicht, dass niemand wüsste, was gemeint ist, wenn Ihr von Kernkraft redet (auch wenn wahrscheinlich die meisten Euch nur nachplappern), das Problem ist, dass viele von Euch und leider auch recht viele andere Menschen nicht wissen, wovon die Rede ist und nicht verstehen, wenn der Begriff in einer anderen, nämlich seiner eigentlichen Bedeutung gebraucht wird. Da liegt der Hund begraben.

Ein großer Teil von Euch hat eben nicht gewusst, was gemeint ist, als ich Kernkraft sagte. In dem Moment, wo ich den Begriff Kernkraft anders gebrauchte, als ihr, war ich in vieler Augen automatisch ein Beführworter von Kernspaltungsreaktoren, obwohl es weder Grund noch Anlass gab, das anzunehmen. Dass es eine andere Bedeutung des Wortes geben kann und dass die Bewegung der Kernkraftgegner keine alleinige Deutungshoheit über diesen und andere Begriffe hat, kam diesen Menschen nicht in den Sinn.

Aber gehen wir für einen Moment ruhig mal davon aus, meine Verwendung des Wortes Kernkraft, als Bennenung zweier Fundamentalkräfte, sei völlig irrelevant. Dann wäre doch total logisch, dass man Kernkraftgegner ist und gegen Kernreaktoren, oder nicht? Nein, auch dann nicht.

Denn es gibt verschiedene Arten von Kernreaktoren. Eine Art sind die Kernspaltungsreaktoren, die aktuell so ein heißes Thema sind. Eine andere Art sind Kernfusionsreaktoren. Es handelt sich auch dabei um Kernkraft und Kernkraftwerke und ich sehe nicht, warum ich, warum irgendjemand, auch pauschal gegen diese Technologie sein sollte. Bei der Erforschung dieser Technologie wird alles richtig gemacht, was bei den Kernspaltungsreaktoren falsch gemacht wurde. Man nimmt sich Zeit, man ist vorsichtig, man wägt gut ab. Seit Jahrzehnten arbeitet man dran und wird es es wahrscheinlich noch weitere Jahrzehnte tun, wenn es überhaupt jemals funktionieren wird. Aber selbst, wenn das niemals funktioniert, gibt es bei der Erforschung der Technologie eine Menge zu lernen. Ich kann da nichts schlechtes dran sehen.

Es ist also immer eine Differenzierung und eine genaue Wortwahl nötig.

Einige Kritiker haben ja sogar versucht, auf ihre Art eine Differenzierung vorzunehmen, indem sie darauf hinwiesen, dass in der Sonne ja Fusion ablaufe, während es hier in den Kraftwerken um Kernspaltung gehe. Als eine Variante davon betrachte ich das „Die Sonne ist ja auch weit weg“-Argument. Kernkraft auf der Sonne sei ja ok, aber hier auf der Erde müssen wir die ja nicht haben. Doch, müssen wir. Kernkraft ist allgegenwärtig. Wir essen sie, wir atmen sie, wir baden drin, wir bestehen durch sie. Ohne Kernkraft würde jedes Atom sofort in seine Bestandteile zerfallen. Ohne Kernkraft geht gar nix, aber um das zu sehen, muss man das Wort Kernkaft eben anders verwenden, als ihr es tut.

Noch problematischer wird das ganze in Verbindung mit einem nicht wenig verbreiteten Scheuklappen-Effekt: Bist Du nicht uneingeschränkt für uns, bist Du gegen uns.

Ich habe in meinem Artikel zu Beginn klar und deutlich angemerkt, die Abschaltung der Kernspaltungs-Reaktoren zu befürworten und mich auch gegen die Laufzeitverlängerung ausgesprochen. Das entspricht inhaltlich dem Standpunkt der Protestbewegung. Aber drumherum habe ich zum einen eine andere Wortwahl als diese Bewegung benutzt, zum anderen habe ich Aspekte der Bewegung und ihres Verhaltens kritisiert.

Das hat dazu geführt, dass die Mehrheit der Kritiker diese Stellungnahme völlig übersah oder ignorierte. Bämm… Gegner der Kernkraftgegner – > AKW-Bewürworter. Stempel drauf, fertig. Man könnte annehmen, das seien alles nur Leute, die den Artikel gar nicht gelesen haben. Leider ist das genaue Gegenteil der Fall. Die meisten haben ihn tatsächlich ganz gelesen, aber genau dieser Absatz kümmerte sie bewusst oder unbewusst ganz genau gar nicht.

Dies ist eine Schwierigkeit, die in vielerlei Gestalt bei nicht wenigen Kernkraftgegnern auftritt. Man versuche einmal einen Kernkraftgegner darauf hinzuweisen, dass ein Kohlekraftwerk im Normalbetrieb ein vielfaches dessen an Radioaktivtät freisetzt, wie es bei Kerspaltungs-Kraftwerken der Fall ist. Dass es also ein Problem weit über das von ihm kritisierte hinaus gibt. Die Mehrheit wird es im besten Fall einfach nicht ernst nehmen und im schlimmsten Fall ihre Meinung über dich schlagartig ändern. „Waaaas? Du bist Pro-Atomkraft?!“

Eine Bewegung, die so agiert, besteht schnell nur noch aus Schreihälsen und Nachplapperern und nach meinem Empfinden ist ist die Bewegung der Kernkraftgegner sehr kurz davor genau da anzukommen.

Das ist ein massives Problem nicht nur der Kernkraftgegner. Man kann es in vielen Bereichen sehen, seien es Gentechnik-Kritiker, Chemie-Ablehner, Pharmazie-Bekämpfer oder sonstwas. Es wird erwartet, dass man mitschreit oder man wird niedergeschrien. Nicht einmal die Politik ist davor sicher und ohne Vorsicht kann das auch ein massives Piraten-Problem werden.

Konstruktive Kritik in vielen Bereichen wird immer schwerer bis unmöglich und in den meisten Bereichen mache ich dramatische Bildungsdefizite dafür mit verantwortlich. Denn was bringt alle Kritik, wenn Menschen nicht dazu in der Lage sind, sie zu verstehen. Und was der Versuch, wenn man nicht dazu in der Lage ist, sie zu artikulieren?

Nach meinem Kenntnisstand hat kein einziger Naturwissenschaftler negative Kritik an diesem Artikel geübt. Aus dieser Ecke kam vielmehr Lob. Die schärfste und destruktivste Kritik kam von jenen, die für Naturwissenschaften am wenigsten übrig haben. Diese Erfahrung kenne ich auch aus anderen Bereichen und durfte sie selbst auch hier bei meiner Reihe zur Homöopathie schon machen.

Da offenbart sich eine Kluft, die es zu überwinden gilt.

Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass das einer grundsätzlichen Überarbeitung unseres gesamten Kulturverständnisses bedarf. Vor Jahren, als die Fernsehsendung Big Brother in aller Munde ging ein Aufschrei durchs Land, weil einer der Bewohner nicht wusste, wer Shakespeare war. Keine Sau hätte es gekümmert, hätte er sich entsprechend über Erwin Schrödinger, Richard Feynman oder Stephen Hawking geäußert.

Naturwissenschaften haben in unserer Gesellschaft und unserer Kultur einen katastrophal niedrigen Stellenwert. Vielfach wird sogar der Eindruck erweckt, solches Unverständnis gehöre zum guten Ton. Möchte ein Star oder Sternchen Sympathien sammeln, muss er nur betonen, dass er sich mit Naturwissenschaften oder vor allem Mathematik nicht auskenne. Erst dieser Tage erwischte ich durch Unglück mit der Fernbedienung eine Fernsehsendung auf RTL2, in der irgendeine Schrulle mit nicht nachvollziehbarem Prominenten-Status als Quasi-Selbstverständlichkeit verkündete, nicht zu wissen, was eine Gleichung ist.

Sofern sich das nicht ändert, wird alles zuvor beschriebene auch weiterhin ein Problem bleiben.

Die Mehrheit der Kritiker hat den Artikel schlicht nicht verstanden. Das liegt nicht daran, dass sie dafür zu blöd wären. Es liegt auch nicht daran, dass ich zu blöd wäre, zu sagen, was ich meine. Wir haben schlicht und ergreifend quasi verschiedene Sprachen gesprochen. Unter anderem, indem ich Begriffe anders verwendete, als sie. Die schärfste Kritik kam jedoch von jenen, die es überhaupt als Unding ansahen, diese andere Sprache überhaupt zu benutzen.

Wohin soll ein solcher unangemessener Anspruch auf Deutungshoheit führen?

Was passiert, wenn ein Kind, dass die ganze Zeit zugeplärrt wird mit Kernkraft ist böse Atome sind böse Chemie ist böse und Gene sind böse über genau diese Dinge in der Schule etwas lernen soll, an einem Ort, wo genau diese andere Sprache gesprochen wird? Das ganze noch befeuert durch Medien, die den Eindruck vermitteln, man müsse nicht wissen und durch Protestbewegungen, die meinen, man müsse nur glauben und mitschreien.

Wenn es nicht so traurig wäre müsste ich lachen über einen der Kommentare hier, der sinngemäß bedeutete, die von mir geforderte Aufklärung würde aufklärerischen Idealen widersprechen. Logik ist offenbar auch nicht besonders beliebt.

Was ist Aufklärung?

Kommt schon das mussten wir alle in der Schule lernen. Alles schon vergessen?

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Genau das vermisse ich bei dieser Protestbewegung. Es scheint schon längst nicht mehr um Aufklärung zu gehen. Es geht ihr darum zu Überzeugen, anstatt zu mahnen und zu belehren. Gesucht ist nicht die fundierte Meinung des einzelnen, sondern die Masse der Nachplapperer und Mitschreier. Echte Aufklärung ist zu mühsam, da es überall an fundamentalem Basiswissen fehlt. Und an allen Ecken und Enden bekommen wir vermittelt, dass dieses Wissen auch gar nicht nötig ist. So hantiert die Bewegung mit Zahlenspielereien und Risiko-Bewertungen, die kaum ein Mensch versteht. Es scheint egal zu sein. Die Menschen müssen ja gar nicht verstehen. Sie müssen nur glauben.

Das mag man nicht als Problem empfinden. Das mag man vielleicht nichtmal wahrnehmen. Aber es ist mein Eindruck und mit diesem bin ich nicht allein.

Es ist an der Zeit, das zu ändern.