Buchpreisbindung

Posted on 7. September 2010

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Das Liquid Feedback wächst und gedeiht. Über 3000 Teilnehmer hat es schon und es quillt geradezu über vor Initiativen. Es ist schwer einen Überblick zu behalten, aber wenn die Buchpreisbindung Thema wird, erregt das ganz besonders meine Aufmerksamkeit und weckt ein gewisses Mitteilungsbedürfnis.

Ich erlebe immer wieder, dass Menschen nicht wissen (oder sich zumindest nicht bewußt sind), dass es in Deutschland eine Buchpreisbindung gibt oder was das ist. Dazu sei auf den entsprechenden Wikipedia-Artikel verwiesen.

Die Buchpreisbindung war nie unumstritten und es gibt eine Menge Pros und Contras, die auch in den Liquid-Feedback-Initiativen und den Diskussionen rundherum wiedergegeben werden. Was ich dem ganzen hier hinzufügen kann und möchte, ist nur meine ganz persönliche Perspektive.

Buchhändler ist der Beruf, den ich ursprünglich gelernt habe (Ich war allerdings nach der Ausbildung nie als Buchhändler tätig). Auch das ist etwas, das vielen Menschen nicht bewußt ist: Buchhändler sind nicht einfach „nur“ Verkäufer. Es ist tatsächlich ein eigener und als solcher anerkannter Beruf mit dreijähriger Ausbildung und eigenen Fachklassen an den Berufsschulen. Als ich 1997 meine Ausbildung begann, gab es vor Ort ein Paar kleinere Buchhandlungen und die Filiale einer großen Kette. Mein Ausbildungsbetrieb war eine der kleineren Buchhandlungen, ein traditioneller Familienbetrieb mit drei Geschäften in dieser und einem in einer Nachbarstadt.

Eigentlich hätte alles ganz einfach sein können. Grundsätzlich hatte eigentlich nichts gegen eine friedliche Koexistenz der verschiedenen Buchläden gesprochen. Die Buchpreisbindung dient unter anderem auch dazu, eine solche Koexistenz zu ermöglichen. So hinge die Wahl der Buchhandlung von anderen Faktoren, als dem Preis ab. Von der Qualität der Beratung, vom Bücherbestand im Laden, von der Geschwindigkeit, mit der nicht vorrätige Bücher beschafft werden können…

Die Kettenfiliale hatte aufgrund der Größe beim im Laden vorrätigen Bestand natürlich die Nase vorne. Das sorgt für jede Menge Laufkundschaft und einen wesentlich höheren Anteil an Spontankäufen. Wer Wert auf gute Beratung legte, suchte hingegen die kleineren Buchhandlungen auf. Dies galt auch für jene, die etwas ausgefallene Bücherwünsche hatten. Die entsprechenden Bücher existierten für die große Kettenfiliale nämlich schlichtweg nicht, da die Zwischenhändler sie nicht führten und die Kette in solchen Fällen einfach nicht direkt beim Verlag bestellte. Alles in allem eine recht ausgeglichene Situation, die für die kleinen Buchhandlungen zwar nicht leicht war, aber funktionierte. Nicht zuletzt auch wegen der Buchpreisbindung. Wie gesagt: es hätte schön sein können.

Die große Kettenfiliale war quasi direkt nebenan und vergleichsweise jung. Dort waren auch nicht nur Buchhändler beschäftigt, sondern auch fachfremde Personen, die tatsächlich einfach „nur“ Verkäufer waren. Die Kette, zu der diese Filiale gehörte, war Teil eines Einzelhandelkonzerns, der auf verschiedensten Geschäftsfeldern tätig war. Und da begannen die Probleme.

In vielen Geschäftsbereichen sind Angestelltenrabatte etwas ganz alltägliches. Auch der Buchhandel bildet da keine Ausnahme und auch in meinem Ausbildungsbetrieb gab es solche Rabatte. Solche Preisnachlässe sind aber im Buchhandel recht streng reglementiert. Die Rabatte dürfen natürlich nicht weitergegeben werden und in Mischbetrieben dürfen natürlich auch nur die tatsächlich buchhändlerisch tätigen Mitarbeiter Rabatte bekommen. Dadurch soll ein Untergraben der Preisbindung verhindert werden.

Blöderweise waren der großen Buchhandelskette diese Regeln egal. Das war insofern problematisch, da der dahinterstehende Konzern noch mehrere Geschäfte in der Stadt inklusive der dazugehörigen Servicezentren mit Verwaltung und Logistik zu bieten hatte. Mit jeder Menge Angestellter. Und all diesen Angestellten wurde grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt, auch einen Rabatt auf Bücher zu erhalten, wovon nicht wenig Gebrauch gemacht wurde. Rabatte, die diese auch gerne an weitere Personen weitergaben. Da aber dadurch die Qualität der Kettenfiliale nicht stieg, nahm das sogar so groteske Formen an, dass sich Kunden von den kleineren Buchhändlern ausführlich beraten ließen, danach aber ein Stückchen weiter zur Kette gingen, um da ihren rechtswidrigen Rabatt zu nutzen. Das machte sich natürlich auch in den Kassen der kleineren Buchhandlungen bemerkbar.

Auch beim Börsenverein des Deutschen Buchhandels blieb das nicht unbemerkt und die Buchhandelskette wurde wegen ihres Fehlverhaltens abgemahnt. Das Blöde an solchen Abmahnungen ist nur: sofern die überhaupt mit Kosten verbunden sind, sind die so gering, dass die Ketten sie quasi aus der Portokasse bezahlen können. Peanuts im Vergleich zu den zusätzlichen Einnahmen.

Zusätzlich wandte die Kettenfiliale eine weitere bei größeren Buchhandlungen nicht unübliche und recht problematische Praxis an: Sonderangebotstische. Nun ist der Bücherpreis aber gebunden. Wie kann es da Sonderangebote geben?

Gar nicht. Was auf diesen Wühltischen auslag, waren zum einen Teil veraltete Auflagen. So weit völlig in Ordnung und auch von kleinen Buchhandlungen praktiziert (die sind jedoch nicht so dreist, das Sonderangebote zu nennen). Zum anderen, das ist der problematische Teil, angebliche Mängelexemplare. Sah man sich diese Bücher jedoch genauer an stellte man in der Regel fest, dass der einzige Mangel eine durch den Handel selbst angebrachte Markierung, meist mit Filzstift, war. Oft waren die Bücher sogar noch eingeschweißt und die Folie nur leicht eingeritzt um mit dem Stift heranzukommen. Ein kleiner Strich und schon galt das Buch als beschädigt und konnte billiger verkauft werden. Es war schlicht ein weiteres Untergraben der Preisbindung, das zusätzliche Kunden locken sollte. Halten wir dies im Hinterkopf, ich werde gleich nochmal darauf zurückkommen.

Alles in allem waren mit dem Auftauchen der Kette und ihrer unfeinen Praktiken harte Zeiten für die kleineren Buchhandlungen angebrochen. Die Konsequenzen kann man jetzt sehen. Nicht nur auf Anhieb, sondern auch mit einigem Überlegen fallen mir in der Innenstadt nur zwei der kleineren Buchhandlungen ein, die diese erste Runde des Kampfes überlebt haben. Eine davon gehört zu einer Buchgemeinschaft, die andere ist mein Ausbildungsbetrieb. Auch an letzterem ist das ganze nicht spurlos vorüber gegangen.

Die Kette gibt es nicht mehr. Zumindest nicht mehr unter dem damaligen Namen. Durch Übernahmen und Fusionen hat der Name zweimal gewechselt. Der dahinter stehende Konzern ist derselbe geblieben. Man kann ihr zugute halten, dass sich dadurch die buchhändlerische Qualität leicht zum besseren hin verändert haben mag. Ob man gleiches auch von den Geschäftspraktiken sagen kann, darf nicht gänzlich unbegründet bezweifelt werden. Auf zur aktuell laufenden Runde zwei im Buchhandelskampf.

Zumindest mit den Angestelltenrabatten scheint die Kette nicht mehr so freigiebig umzugehen. Dafür scheint sie sich aber anderweitig Rabattschlachten zu liefern. Immer wieder werden Vorwürfe laut die Firmenleitung versuche den Verlagen besonders günstige Einkaufkonditionen geradezu abzupressen. Das ist ihr durchaus zuzutrauen, ist sie doch auch sonst recht dreist. Vor einigen Jahren forderte sie sogar, die Verlage sollten sich finanziell am Aufbau neuer Filialen beteiligen. Derartige Ideen sind durch die in der ersten Runde erkämpfte starke Position ein leichtes.

Die Tische mit den „Sonderangeboten“ gibt es immer noch. Es sind sogar mehr geworden. Was natürlich auch den Vermutungen bezüglich überzogener Rabattforderungen weiteren Wind gibt. Wer billiger einkaufen kann, kann auch vermehrt angebliche Mängelexemplare verschleudern. Ziel ist es, auch die restlichen kleinen Buchhandlungen vom Markt zu drängen. Dazu wird die Preisbindung auch immer offener und direkter kritisiert und eine Abschaffung gefordert.

Da ist nur eine Anekdote am Rande, dass auch zu anderen Tricks gegriffen wird. Es wird sich nämlich nicht nur bemüht, tatsächlich billiger zu sein, sondern auch, einfach nur den Eindruck zu erwecken. So hat die Kettenfiliale zum Beispiel seit einiger Zeit auch eine völlig überflüssige Rolltreppe. Sogar doppelt überflüssig, denn zum einen führt sie nur nach oben (nach unten führt nur eine ganz normale Treppe), zum anderen ist direkt daneben ein Aufzug. Warum so viel Aufwand für nur ein Obergeschoss? Während der Ausbildung wurde ich mehrfach damit konfrontiert, dass es wohl mal eine Untersuchung gegeben haben soll, der zufolge Kunden automatisch davon ausgingen, dass Waren billiger wären, wenn es in dem verkaufenden Geschäft eine Rolltreppe gab. Sowas ist natürlich in einem Geschäftsbereich mit preisgebundenen Waren besonders interessant. Zumal wie gesagt viele Menschen gar nicht wissen, dass es die Buchpreisbindung gibt.

All dies könnte man nun leicht mit einem Schulterzucken als freien Wettbewerb auf einem freien Markt abtun. Aber das ist es nicht, weder mit Preisbindung, noch ohne.

Mit Preisbindung ist es kein fairer und freier Wettbewerb, solange große Ketten sie untergraben können und ehrliche kleinere Buchhändler dadurch die Arschkarte haben. Wie gesagt: von all den kleineren Buchhandlungen, die es vor 15 Jahren hier noch gab, ist kaum noch eine übrig.

Aber auch ohne Preisbindung wäre dabei an fairen und freien Wettbewerb nicht zu denken. In einem solchen würde der Preis nach Angebot und Nachfrage bestimmt und bei Konkurrierenden Produkten wäre auch die Qualität der Ware ein maßgebliches Kriterium. Nun ist bei Büchern die Qualität der Ware überall die gleiche. Wenn ich ein Buch im einen Laden kaufe unterscheidet es sich in nichts von dem gleichen Buch in einem anderen Laden. Der neueste Mankell-Krimi ist überall das gleiche Buch in gleicher Qualität. Warum sollte sein Preis allein von der Marktposition des verkaufenden Geschäftes bestimmt werden?

Man darf sich auch nicht der Illusion hingeben, der daraus resultierende Preiskrieg führe dazu, dass Bücher billiger würden, wenn die Preisbindung fiele. Das mag für den Anfang zutreffen, solange es vor Ort überhaupt noch Konkurrenz gibt. Doch das wäre nicht lange der Fall und am Ende stünde vor Ort jeweils ein einziger Quasi-Monopolist, der recht freie Hand bei der Bestimmung der Preise hat. Die Folgen dessen kann man überall dort sehen, wo die Preisbindung tatsächlich abgeschafft wurde: die Bücher wurden im Schnitt erheblich teurer.

Einen wirklich fairen Wettbewerb kann ich hier nur mit einer starken Preisbindung sehen.

Und auch jenseits davon finde ich es einfach gut, zu wissen, was ein Buch kostet, ganz egal, wo ich es kaufe. Dass ich es einfach kaufen kann und mich später schlimmstenfalls über den Inhalt ärgern muss und nicht darüber, dass es in der Nachbarstadt oder auch nur in einem anderen Stadtteil billiger gewesen wäre.

Ich kann und werde meine Stimme keinem Vorhaben zur Abschaffung der Buchpreisbindung geben, die nur irgendwelchen Großkonzernen zu Gute kommt und den verbliebenen kleinen Händlern den Todesstoß versetzt. Daher unterstütze ich die Initiative zu Erhalt und Modernisierung der Buchpreisbindung. Für alles andere würde ich mich schämen.